Fachkräfte wandern ab

Der Mangel an geeigneten Arbeitskräften ist bei den Baubetrieben seit geraumer Zeit produktionsbehindernder Faktor Nummer Eins. Bei der Behebung des Fachkräftemangels wird meist an die Gewinnung neuer Fachkräfte gedacht. Es scheint aber mindestens genauso wichtig zu sein, die Abwanderung von Fachkräften in andere Branchen zu vermeiden. Eine neue Studie von SOKA-BAU zeigt, dass für die Abwanderung vor allem gesundheitliche und finanzielle Gründe verantwortlich sind.

SOKA-BAU hat Anfang des Jahres verschiedene Zielgruppen (Auszubildende, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Ausbilder), darunter mehr als 200 abgewanderte Arbeitnehmer, nach den (mutmaßlichen) Gründen zur Abwanderung aus der Bauwirtschaft befragt. Dabei wurde von den befragten Personen bestätigt, dass die Abwanderung von Fachkräften ein drängendes Problem darstellt und in den kommenden Jahren noch weiter an Brisanz gewinnen wird. Darüber hinaus handelt es sich bei den abgewanderten Arbeitnehmern hauptsächlich (zu zwei Dritteln) um ausgebildete Fachkräfte, wobei Hochbaubetriebe vergleichsweise stärker von dem Problem der Abwanderung von Fachkräften betroffen sind.

Was die Abwanderungsgründe angeht, nennt der größte Teil der Befragten (38 %) gesundheitliche Gründe, gefolgt von schlechten ökonomischen Rahmenbedingungen wie einer zu niedrigen Entlohnung (25 %), Kündigung bzw. Insolvenz des Arbeitgebers (13 %) und einer zu hohen Arbeitsbelastung (12 %). Als Zielbranche nennen die abgewanderten Fachkräfte mehrheitlich das Verarbeitende Gewerbe, gefolgt vom öffentlichen Bereich und dem Handel. Für rund 40 % der abgewanderten Fachkräfte ist der Abschied aus der Branche endgültig. Vor allem jüngere Arbeitnehmer (bis 25 Jahre) können sich aber durchaus wieder vorstellen, in die Baubranche zurückzukehren.

Aus der Studie können mehrere Schlüsse gezogen werden: Die harte körperliche Arbeit am Bau stellt immer noch eine besondere Herausforderung für die Arbeitnehmer dar. Dies deckt sich mit Daten zum Renteneintritt der Arbeitnehmer, die SOKA-BAU vorliegen. Danach haben im vergangenen Jahr 28 % der Neurentner in der Baubranche eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung bezogen, wohingegen dies nur für 18 % der gesamten westdeutschen männlichen Neurentner galt. Es würde deshalb hilfreich sein, die körperliche Belastung der Arbeitnehmer wenn möglich zu reduzieren und ihnen ggf. nach längerer Tätigkeit alternative Beschäftigungsformen in Aussicht zu stellen. Dazu gehört es auch, den technischen Fortschritt besser zu nutzen. Die Baubranche investiert erfahrungsgemäß im Branchenvergleich ohnehin verhältnismäßig wenig in Ausrüstungsgüter.

In Bezug auf die Entlohnung wartet die Branche während der Ausbildung regelmäßig mit den höchsten Azubigehältern in Deutschland auf. Die Ergebnisse der Befragung der Auszubildenden zeigen, dass rund drei Viertel der Azubis davon ausgehen, dass sie ihr ganzes Leben in der Bauwirtschaft arbeiten bzw. so lange in der Baubranche tätig sein werden, wie es die Lebensumstände bzw. die Gesundheit zulassen. Allerdings tritt nach der Ausbildung für viele Beschäftigte insbesondere in nicht tarifgebundenen Betrieben oftmals Ernüchterung ein, da der starke Wettbewerb in der Branche häufig zu Lasten der Löhne der Beschäftigten geht. Zu nennen wäre hier insbesondere der Wettbewerb zwischen deutschen Baubetrieben und europäischen Entsendebetrieben, die nur den in der Baubranche geltenden Mindestlohn bezahlen müssen und aufgrund der niedrigeren Sozialabgaben in ihren Heimatländern dazu noch einen Kostenvorteil haben.

Unter den großen Mitgliedstaaten der EU ist die deutsche Baubranche am stärksten von Entsendungen betroffen, das Verhältnis aus entsandten Arbeitnehmern zur Zahl der inländischen Beschäftigten im Bauhauptgewerbe lag im vergangenen Jahr bei rund 15 %. Darüber hinaus verpflichten sich selbst die öffentlichen Auftraggeber in Deutschland bisher nicht flächendeckend über Tariftreueregelungen dazu, nur Aufträge an tariftreue Betriebe zu vergeben. In rund einem Drittel der Unternehmen wurden bereits spezielle Maßnahmen ergriffen, um die Abwanderung von Fachkräften zu verhindern bzw. zu verringern. Dabei handelt es sich in erster Linie um bessere Bezahlung, aber auch um Fort- bzw. Weiterbildung sowie um Maßnahmen zur Schaffung eines guten Betriebsklimas. Angesichts des sich weiter verschärfenden Fachkräftemangels dürften sich zunehmend mehr Betriebe damit beschäftigen wie die Abwanderung von Fachkräften verhindert werden kann.