Interview mit Stephan Weil, Niedersächsischer Ministerpräsident

 

Stephan Weil, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen

Stephan Weil, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen

Exzellent: Es gab 2013 zum ersten Mal die Situation, dass wir 500.000 Studienanfänger hatten und nur 530.000 Ausbildungsanfänger, die niedrigste Zahl von Lehrlingen überhaupt. Eine ganz schlechte Tendenz. Was wollen Sie auf den Weg bringen, um wieder mehr Auszubildende zu gewinnen?

Weil: Wir nutzen schon jetzt jede Gelegenheit, um bei den jungen Menschen den Wert und die Qualität, aber auch den Nutzen einer Dualen Ausbildung und einer anständigen Lehre in Erinnerung zu rufen. Es ist keinesfalls so, dass man nur Erfolg haben kann, wenn man ein Diplom oder einen Doktor gemacht hat. Viele Menschen haben auf der Grundlage einer Lehre einen sehr erfolgreichen Lebensweg eingeschlagen. Wir werden die berufliche Orientierung an den Schulen deutlich verstärken unter Einbeziehung von Praktikerinnen und Praktikern. Und wir müssen uns noch mehr als bislang um diejenigen kümmern, die bis jetzt im Bildungswesen keinen hinreichenden Erfolg gehabt haben. Gerade junge Menschen mit wenig überzeugenden schulischen Leistungen und/oder mit Flausen im Kopf müssen während ihrer Ausbildungszeit eng begleitet und dabei unterstützt werden, eine Lehre erfolgreich durchzustehen oder wenn es denn im ersten Betrieb nun gar nicht klappt, schnell eine andere Lehrstelle zu finden. Dafür brauchen wir viel Engagement und auch Geduld seitens der Ausbildungswirtschaft und eine enge Kooperation aller Verantwortlichen. Die Jugendberufsagentur in Hamburg macht uns vor, wie das klappen kann. Unter dem Motto: Jeder wird gebraucht und niemand darf verloren gehen, arbeiten dort Berufsberatung, Ausbildungs- und Arbeitsvermittlung, Berufsschulen und Jugendhilfe Hand in Hand.

Exzellent: Es wird in der Öffentlichkeit, zumindest in den letzten Jahren, deutlich mehr über Hochschulausbildung gesprochen als über Berufsausbildung. Der Effekt ist: Für die vielen Studenten gibt es gar keine adäquaten Jobs mehr. Ein Problem, das sich in Zukunft noch stärker zeigen wird. Wie sehen Sie das Problem?

Weil: Das kommt sehr darauf an. Es gibt eine Reihe von Studiengängen, da könnten wir durchaus mehr Bewerber und vor allen Dingen Absolventen gebrauchen. Das sind besonders diejenigen in den naturwissenschaftlichen und den technischen Disziplinen. In den Geisteswissenschaften haben wir dagegen typischerweise mehr junge Leute, als anschließend auf dem Arbeitsmarkt Aufnahme finden. Wie gesagt, ich glaube, es hängt auch viel damit zusammen, dass man zukünftig den jungen Leuten schon in der Schule ein klares Bild davon geben sollte, was einmal der richtige Beruf für sie sein könnte. Wenn ich mir die hohe Zahl derjenigen anschaue, die ein Studium abbrechen, wünschte ich mir, sie hätten gleich eine für sie passende Lehre begonnen oder einen anderen Weg eingeschlagen.

Exzellent: Will die Landesregierung in dem Zusammenhang mehr im Bereich Öffentlichkeitsarbeit für Ausbildung und Lehre tun?

Weil: Noch einmal: Die beste Öffentlichkeitsarbeit ist das, was in der Schule vermittelt wird. Schon während der Schulzeit müssen wir den jungen Menschen Möglichkeiten geben, einen ganz praktischen Eindruck vom Arbeitsleben zu gewinnen. Manche könnten so frühzeitig entdecken, wie viel Freude etwa ein Handwerksberuf machen kann. Mir ist in den vergangenen Jahren immer wieder aufgefallen, dass junge Leute, wenn sie von der Schule abgehen, keine rechte Vorstellung davon haben, was sie später im Arbeitsleben eigentlich erwartet. Und ich erkläre mir viele Entscheidungen, ein Studium zu beginnen, auch schlichtweg mit der Unkenntnis darüber, was es an Alternativen gibt und wie gut und spannend diese Alternativen sein können.

Exzellent: Vor etwa einem Jahr haben Sie Ihre Regierungserklärung abgegeben, in der letztendlich zwei Sätze zum Thema Bau waren. Wie wichtig ist für Sie Bauen und Bauwirtschaft in Niedersachsen?

Weil: Sehr wichtig. Die Bauindustrie ist typischerweise eine der Nervenstränge der Wirtschaft. Hier sieht man besonders schnell, wie die wirtschaftlichen Perspektiven sind. Ich freue mich sehr, dass Bauhauptgewerbe und Baunebengewerbe in Niedersachsen derzeit – wenn ich es recht sehe – gut dastehen. Aber da geht noch was und der Bedarf ist groß. In der Infrastruktur in Niedersachsen beispielsweise gibt es einen deutlich höheren Investitionsbedarf als wir derzeit aus den öffentlichen Haushalten finanzieren können. Ich hoffe aber, dass sich über kurz oder lang auch im Bund die Einsicht durchsetzt, dass man nichts spart, wenn man die eigene Infrastruktur nicht hinreichend pflegt.

Exzellent: Das ist ein interessanter Gedanke, denn seit 10, teilweise 20 Jahren schweben Streitthemen wie Y-Trasse, Hinterlandanbindung und andere im Raum. Eine jeweils konkrete Lösung wurde bisher nicht auf den Weg gebracht. Wie wollen Sie diese Prozesse beschleunigen?

Weil: Zunächst einmal: Noch dringender ist, dass wir die bestehende Infrastruktur erhalten und zwar so, dass es auch tatsächlich nicht zu einer schleichenden Erosion kommt. Wir haben aber unverkennbar auch Ergänzungsbedarf bei der öffentlichen Infrastruktur, zum Beispiel bei der Hafenhinterlandanbindung. Nehmen wir das Thema Y-Trasse. Ich glaube, dass in der Vergangenheit häufig der Fehler gemacht worden ist, dass die Verfahren nicht zielstrebig genug durchgeführt worden sind und man nicht früh genug mit der Bürgerbeteiligung begonnen hat. Wenn man sehr früh beginnt, mit den Menschen vor Ort über die Planungen, aber auch über Alternativen zu diesen Planungen zu diskutieren, dann wird man wahrscheinlich auch sehr viel schneller ans Ziel gelangen.

Exzellent: Wir haben mittlerweile die Situation, dass sich Planer, Logistiker usw. Gedanken machen wie „Lande ich eher in Italien, in Genua oder ähnlichen Regionen an, weil ich von dort schneller als von deutschen Häfen aus in die zu beliefernden Regionen komme?“. Das ist letztendlich ja ein Ausrufezeichen und besagt: Wir müssen fixer werden in Deutschland.

Weil: Ja, wir müssen vor allen Dingen unsere Prioritäten entsprechend setzen. Wir haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer wieder erlebt, dass große öffentliche Infrastrukturmaßnahmen südlich des Weißwurstäquators stattgefunden haben mit der Folge eines mittlerweile unverkennbaren Nachholbedarfs im Norden. Das gilt im Grunde genommen für alle drei Verkehrswege – für die Schiene, für die Fernstraßen und für die Wasserstraßen.

Exzellent: Denken Sie, dass man auf dem Wege dann tatsächlich etwas im Positiven bewegen kann?

Weil: Zumindest ist mittlerweile allen klar geworden, dass wir eine deutlich bessere Hafenhinterlandanbindung brauchen. Sie wird Gegenstand eines eigenen Programms, so hat es der Bundesverkehrsminister angekündigt. Es steht außer Frage, dass die Anbindung an die Häfen unter dem Gesichtspunkt der trimodalen Netze, also der Verbindung von Schiffen, Bahn und Automobilen, ein besonderer Wert ist. Ich hoffe, dass dafür die Einsicht wächst in den Köpfen der Verantwortlichen in Berlin. Die norddeutschen Länder melden sich hierzu immer wieder auch gemeinsam zu Wort.

Exzellent: Es wird wahrscheinlich nicht gelingen, alle an der Planung Beteiligten in ein Boot zu bekommen. Bürgerinitiativen, Bürgerbeteiligungen usw. haben völlig andere Vorstellungen, als sie die Wirtschaft hat. Wenn es zur Entscheidung kommt – die wird es geben müssen – wo sehen Sie Ihre Präferenzen?

Weil: Die sind meines Erachtens sehr eindeutig. Unser Land ist erfolgreich, weil die Wirtschaft sehr erfolgreich ist. Eine erfolgreiche Wirtschaft braucht eine gute Infrastruktur. Würden wir diese Zusammenhänge ignorieren, wären die Folgen für uns alle, nicht nur für den Staat, unabsehbar. Und deswegen setze ich mich vehement für eine moderne Infrastruktur in Deutschland ein.