Interview mit Dr. Wolfgang Bayer, Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbandes Niedersachsen-Bremen
Exzellent: Wenn man über die deutschen Autobahnen, Bundesstraßen und Landesstraßen fährt, hat man viele Bau- und Stauerlebnisse. Was ist da falsch gelaufen?
Dr. Bayer: Wir haben einen Sanierungsstau. Die Bundesautobahnen und Bundesstraßen sind durch enorm gestiegenes Verkehrsaufkommen und höhere Achslasten heruntergefahren. Zudem werden Spuraufweitungen auf Bundesautobahnen vorgenommen. Das alles führt zu der Situation. Mir fehlt allerdings ein transpartes bundesweites Planungkonzept, das die Verkehrsteilnehmer anspricht.
Exzellent: Sind aus Ihrer Sicht in den Behörden genügend Planungskapazitäten für alle Verkehrswege vorhanden?
Dr. Bayer: Wir haben die sichere Erkenntnis, dass die Behörden nicht ausreichend fachkundige Arbeitskräfte haben. Seit 20 Jahren wurde das Personal ausgedünnt. Mit einer Ausnahme, das ist Bayern. Bayern hat zwar auch abgebaut hat, aber dabei immer auf Funktionsfähigkeit geachtet hat. In Niedersachsen haben wir die Landesregierung schriftlich und in angenehmen Gesprächsrunden auf das Problem aufmerksam gemacht. Wir erwarten nun, nachdem Geld vorhanden ist, dass der Personalstamm der Bauverwaltung aufgestockt wird. Das gilt übrigens auch für Bremen.
Exzellent: In welchem Umfang halten Sie die Vergabe von Verkehrswegen in private Obhut für vertretbar und ökonomisch gut.
Dr. Bayer: Wenn sie an ÖPP-Modelle denken, zum Beispiel die A 1, dann hat sich herausgestellt, dass die Planung und Fertigstellung durchaus schneller ging als in herkömmlicher Ausschreibung. Es kann jedoch nicht der Weg sein, Maut nur noch an bestimmte Konsortien zu verleiten. Dieses Modell ist eine Übergangserscheinung. Ich halte den Weg für richtig, den das Bundes-Verkehrsministerium, unter starkem Einsatz von Staatssekretär Enak Ferlemann, geht. Nämlich eine Infrastrukturgesellschaft „Verkehr“ gründen zu wollen. Sie soll Bundesautobahnen planen, Bauaufträge vergeben, betreiben und verwalten. Nach unseren Informationen soll diese Behörde 2020 die Arbeit aufnehmen.
Exzellent: Haben Sie den Eindruck, dass alle Verkehrswege in volkswirtschaftlich bester Weise in Anspruch genommen werden bzw. dafür geplant wird?
Dr. Bayer: Wir haben ein Defizit im Straßenbau ebenso wie bei der Bahn. Sie ist modernen Anforderungen einfach nicht gewachsen. Auch hier gibt es einen gewaltigen Nachholbedarf. Was die Wasserstraßen anbelangt muss man feststellen, dass es 2013 und 2014 Minderausgaben von 50 % gegeben hat. Das heißt, die Binnenwasserstraßen haben entsprechende Nachholbedarfe. Hier kollidiert oft Umweltpolitik mit Schifffahrtsbedarf. Beim Luftverkehr fehlt mir die Vernetzung der Verkehrssysteme. Wie kann es beispielsweise sein, dass man jahrelang mit dem ICE am Düsseldorfer Flughafen vorbeifährt und dort nicht aussteigen kann. Wie ist es möglich einen Flughafen München 2 zu planen ohne einen ICE Anschluss? Vernetzung der Verkehrsträger muss von Anfang an ein zentraler Punkt sein.
Exzellent: Inwieweit wird der Brexit die Baubranche beeinflussen?
Dr. Bayer: Der Brexit war ein großer Fehlern. Zunächst muss man abwarten, wie der „Brexit ausfallen wird“. Wenn England den Binnenmarkt verlässt, hat das für deutsche Bauunternehmen keinen allzu großen Stellenwert. Englische Bauunternehmen sind hier am Kontinent nicht sehr stark vertreten. Die Marktdurchdringung anderer europäischer Nationen des englischen Marktes ist ebenfalls gering. Deshalb glaube ich nicht, dass für deutsche Bauunternehmen ein großer Verlust entsteht, wenn das Vereinigte Königreich nicht mehr Mitglied des Binnenmarktes sein würde. Ich glaube, dass sich die Engländer zunächst extrem selbst schädigen werden. Es werden Unternehmensverlagerungen stattfinden und Arbeitsplätze in Größenordnungen wergfallen, wie man sich das nicht vorgestellt hat.
Exzellent: Was erwarten Sie wirtschaftlich für die Branche im kommenden Jahr?
Dr. Bayer: Sowohl im Infrastruktur-, als auch im Wohnungs- und ebenso im Wirtschaftsbau gibt es umfangreiche Bedarfe. So erwarte ich eine positive Entwicklung im kommenden Jahr. Eine Voraussetzung dafür ist, dass die Planungsmöglichkeiten, besonders im Infrastrukturbau, geschaffen werden.
Exzellent: Personalnot wird ein Wort des Jahres werden. Dabei wird immer wieder betont „gutes Personal“. Wie bewerten Sie dieses?
Dr. Bayer: Die Bauwirtschaft hat gut ausgerüstete Ausbildungszentren. Ich kann sagen, dass unser Zentrum in Bad Zwischenahn zu über 100 % ausgelastet ist und dass in Mellendorf ebenfalls sehr gut gebucht ist. Es ist natürlich schwierig Personal zu bekommen, wenn die Bauindustrie sich selbst immer wieder ein negatives Attest ausstellt. Da muss ich aber an die Allensbach-Untersuchung erinnern. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass der Bau wesentlich attraktiver ist, als die Branche es selbst vermutet. Wir reden zu wenig über die hohen technischen Fähigkeiten die in der Branche gefordert sind, über exzellente Baufortschritte über solide realisierte Planungen. Wenn man ständig nörgelt, darf man sich nicht wundern, wenn die Leute wegbleiben. Es gibt aber zum Beispiel etliche Unternehmen die regelmäßig in Schulen gehen und Werbung für sich und die Branche machen. Die haben mehr Anfragen nach Ausbildungsplätzen als sie zur Verfügung stellen können.
Exzellent: Gutes Personal bezieht sich wohl mehr auf die Motivation und Belastbarkeit von Personal. Beides sinkt, wie Praktiker sagen. Was ist zu tun?
Dr. Bayer: Da fällt mir der 2000 Jahre alte Spruch vom Sokrates ein: „Die heutige Jugend taugt nichts mehr“. Wenn es danach ginge, hätten wir heute eine unterirdische Leistungsfähigkeit. Die haben wir aber nicht. Die Zeiten und die Techniken haben sich brutal verändert. Und man muss sich fragen, ob sich die Ausbildungsbetriebe dem angepasst haben.
Exzellent: Sie sind etliche Jahrzehnte in der Verbandarbeit an führender Stelle tätig. Wie hat sich die Arbeit verändert?
Dr. Bayer: Über die Jahre mussten die Verbände besser und schneller werden. Wir haben uns fortentwickelt von Herren-Clubs hin zu Dienstleistungsverbänden, die auch an Effektivität gemessen werden. Zum Beispiel daran, wie schnell sie auf Veränderungen reagieren. Wichtig war in den letzten Jahren die Qualität zu steigern, Netzwerke intensiver zu gestalten und flexibler agieren zu können. Wir müssen jetzt und künftig verstärkt in Szenarien denken und handeln, um die Branche positiv weiter zu entwickeln.