Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung diskutierten bei den Baustoff-Tagen 2014 in Filderstadt den Zustand von Straßen und Brücken. Finanzierungspläne des Bundes im Bereich der Verkehrsinfrastruktur warfen viele Fragen auf
Der Zustand der baden-württembergischen Verkehrsinfrastruktur stand bei den Baustoff-Tagen am 22./23. Oktober 2014 des Industrieverbandes Steine und Erden Baden-Württemberg e.V. (ISTE) erneut im Mittelpunkt. An beiden Tagen nahmen 470 Interessierte an der Veranstaltung teil. Der ehemalige Bundesverkehrsminister und Vorsitzende der Kommission „Nachhaltige Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“, Prof. Kurt Bodewig (SPD), und der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen) diskutierten mit den Tagungsteilnehmern die aktuellen Herausforderungen bei der Infrastrukturentwicklung und -finanzierung.
Der Verkehr wird weiter wachsen, daran ließ Kurt Bodewig im Kultur- und Kongresszentrum Filharmonie in Filderstadt am 23. Oktober 2014 keinen Zweifel. Von 2010 bis 2030 wird dem SPD-Politiker zufolge allein der Güterverkehr um 38 Prozent zunehmen, während der Personenverkehr auf deutschen Verkehrswegen um 12,9 Prozent wachsen wird. Steigerungen, die die Frage aufwerfen, ob die vorhandenen Verkehrsträger, allen voran die Straßen, dieses Transportvolumen überhaupt bewältigen können.
Infrastrukturpolitik ist Politik für den Wirtschaftsstandort
Allein im Jahr 2013 zählte der ADAC auf bundesdeutschen Straßen mehr als 400.000 Staus, wie Bodewig berichtete. Für den Schwerlastverkehr gesperrte Brücken, die weiträumige Umfahrungen vom teilweise mehreren hundert Kilometern zur Folge hätten, stehen dem ehemaligen Bundesverkehrsminister zufolge für die Probleme, die sich im Bereich der Infrastruktur auftun. Aktuell sind laut Kurt Bodewig deutschlandweit 1.400 Eisenbahnbrücken dringend sanierungsbedürftig. Das verursache jährliche Zusatzkosten in Höhe von 1,2 Milliarden Euro, wobei der Investitionsrückstau bei den Schienenwegen rund 30 Milliarden Euro ausmache. Im Bundeshaushalt seien 1,9 Milliarden Euro für den Unterhalt und die Sanierung 330 Schleusen, 15 000 Brücken und 7.700 Kilometern Wasserstraße eingestellt worden.
Den täglichen Wertverlust der bundesdeutschen Verkehrsnetze bezifferte Kurt Bodewig auf 13 Millionen Euro, womit der jährliche Wertverlust deutlich über 4,5 Milliarden Euro liegt, was dazu führt, dass jährlich ein finanzieller Zusatzbedarf in Höhe von 7,2 Milliarden Euro besteht. Der SPD-Politiker betonte, dass dringend an dem Erhalt und Ausbau aller Verkehrsträger gearbeitet werden müsse, um den deutschen Wirtschaftsstandort zu fördern und weiter attraktiv zu halten. „Infrastrukturpolitik ist Standortpolitik. Deutschland darf im globalen Ranking nicht verlieren“, so Kurt Bodewig, der die Einrichtung eines Infrastrukturfonds und die Erarbeitung von Lebenszyklus-Konzepten und deren fortlaufende Optimierung forderte, um Investitionen in die Infrastruktur nachhaltig planen und langfristig finanzieren zu können.
Enormer Finanzbedarf bei der Verkehrsinfrastruktur erfordert bundesweite Mehreinnahmen
Winfried Hermann berichtete, dass die grün-rote Landesregierung allein in den Erhalt und die Sanierung von Landesstraßen 125 Millionen Euro investieren will. Der Landesverkehrsminister erklärte, dass rund zweidrittel der Mittel, die für den Straßenbau vorgesehen sind, in den Erhalt und die Sanierung fließen, während ein Drittel der Gelder für den Aus- und Neubau vorgesehen ist. Eine Mittelverteilung, wie sie auch auf Bundesebene praktiziert werde.
Der Grünenpolitiker wies immer wieder erhobene Vorwürfe zurück, dass die Landesregierung nicht ausreichend in den Straßenbau investiere. „Wir haben in den vergangenen zwei Jahren mehr umgesetzt als je zuvor“, so Hermann. „Wir haben zunächst die lange Liste an Baustellen abgearbeitet, die noch zu Ende geführt werden mussten.“ Der Investitionsbedarf im Bereich der Straße belaufe sich in Baden-Württemberg auf insgesamt 11 Milliarden Euro. Bei einem optimistisch eingeschätzten Investitionsvolumen von jährlich 200 Millionen Euro, dauere es über 50 Jahre, bis dieser Investitionsbedarf abgebaut worden sei. Damit ist Winfried Hermann zufolge nachvollziehbar, weshalb im Straßenbau Prioritäten gesetzt werden müssen und wichtige Hauptverkehrsachsen, wie die Autobahn A8 Karlsruhe-München, bevorzugt behandelt würden.
Baden-Württembergischer Verkehrsminister kritisiert Vorgehen des Bundes bei der Maut
Winfried Hermann erklärte auch, dass er die Pläne des Bundesverkehrsministers Alexander Dobrindt, die Lkw-Maut aufgrund eines neuen Wegekostengutachtens abzusenken, nicht befürwortet. Immerhin seien Mehreinnahmen angesichts des enormen Nachholbedarfs dringend erforderlich. Der Grünenpolitiker bezweifelte, dass die infolge der Kürzung entstehenden Mindereinnahmen durch eine Ausländermaut kompensiert werden können.
Angesichts dieser Entwicklungen machte der baden-württembergische Verkehrsminister deutlich, dass es mit Blick auf die kommenden Jahre schwieriger werden wird, Investitionen zu tätigen. Der Minister erklärte, dass deshalb künftig genau geprüft werden müsse, ob eine Straße wirklich ausgebaut werden müsse oder ob eine Sanierung ausreicht, ob ein Neubau dringend erforderlich ist oder ob ein Ausbau sinnvoller ist. Winfried Hermann betonte darüber hinaus, dass auch die Schienen- und Wasserwege erhalten, ausgebaut und modernisiert werden müssen. Hier sei in den vergangenen zwanzig Jahren deutlich zu wenig geschehen. Gleichzeitig gelte es, die Verkehrsträger intelligent und zukunftsweisend miteinander zu vernetzen.
Die Verkehrsinfrastruktur braucht einen Masterplan
In der anschließenden Diskussion betonte Kurt Bodewig, dass dringend ein fortlaufender Masterplan aufgestellt werden müsse, mit dem sich die Lebenszyklusphasen der Infrastruktur erfassen und koordinieren lassen. Eine Ansicht, die auch Winfried Hermann unterstützte. Er machte deutlich, dass auf diese Weise Investitionen vorausschauend und gezielt geplant werden können. Bodewig machte sich in der Debatte für eine distanzabhängige Pkw-Maut stark, von der er sich auch einen Rückgang des Verkehrs auf deutschen Straßen verspricht. Das sei aber noch Zukunftsmusik.
Kurt Bodewig berichtete, dass derzeit in fast allen europäischen Ländern über die Internalisierung von externen Kosten, wie Lärmbelastungen oder das Emissionsverhalten von Fahrzeugen nachgedacht werde. Allerdings dürfen diese Kosten seiner Ansicht nach nicht mit einer staatlichen Maut verbunden werden. Hier gelte es eine nutzerabhängige Lösung zu finden. Das Modell der Zukunft besteht für den SPD-Politiker daher in einer überwiegend nutzerabhängigen Finanzierung und einer Entlastung bei anderen Verkehrssteuern.
Die baden-württembergische Landtagsabgeordnete Nicole Razavi (CDU) erklärte, dass Verkehrsträger nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Die CDU-Politikern betonte, dass im Südwesten Straßen die wichtigsten Lebens- und Verkehrsadern sind. Ihr Zustand entscheide über die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft. Hier müsse mehr getan werden. Neubau und Erhalt widersprechen sich laut Razavi nicht und dürfen ebenfalls nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wenn die grün-rote Landesregierung ab 2015 mit dem Neubau der Landesstraßen beginne, dann bedeute das im Klartext, dass die Landesregierung in den vergangenen Jahren keine Straßen gebaut habe. „Das ist mitnichten eine gute Nachricht“, so Nicole Razavi. Ihrer Ansicht nach liegt der Grund dafür nicht in den Baustellen, die erst abgearbeitet werden mussten, sondern darin, dass die Mittel für den Straßenbau seitens der Landesregierung drastisch gesenkt worden seien.
Die CDU-Politikerin warf Minister Hermann erneut vor, dass sein Haus im vergangenen Jahr Millionen an Bundesfördergeldern für den Straßenbau nicht abgerufen hat.“ Als Begründung wurde angeführt, dass die Gelder nicht gebraucht werden“, so Razavi weiter. „Dabei haben wir derzeit viele Bundesfernstraßen, die derzeit im Bau sind und dafür das Geld hätte genutzt werden können, ohne dass es neuer Freigaben bedurft hätte.“ Die CDU-Politikerin bilanzierte, dass ihr die derzeitige Verkehrspolitik im Land „deutlich zu ideologisch eingefärbt“ ist.
Grünenpolitiker befürchtet, dass sich der Bund 2019 aus der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung zurückzieht
Der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Andreas Schwarz (Bündnis 90/Die Grünen) wies nachdrücklich darauf hin, dass die Straßenbauverwaltung allein im vergangenen Jahr so viele Gelder wie nie zuvor im Land verbaut habe. Der Grünenpolitiker betonte, dass das Land in diesem Jahr für den Erhalt und Ausbau der Straßen 125 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt habe. „Unter der CDU-Regierung waren es einmal 8 Millionen, dann mal 50 Millionen Euro“, sagte Schwarz. „Daran lässt sich erkennen, dass unter unserer Zuständigkeit etwas getan wird, um das Vermögen zu erhalten und wir werden auch für die Brücken noch Gelder einstellen.“
Darüber hinaus seien in der Vergangenheit bei den Regierungspräsidien im Bereich des Straßenbaus Stellen abgebaut worden. Die grün-rote Landesregierung habe im letzten Jahr 30 Stellen und in diesem Jahr 39 Stellen in diesem Bereich geschaffen. „Schließlich ist eine gut ausgestattete Verwaltung erforderlich, wenn die ganzen Mittel die zur Verfügung stehen auf Bundesebene abgerufen werden sollen“, konterte Andreas Schwarz, der das Schäuble-Scholz-Papier kritisierte, in dem der Bundesfinanzminister und der Bürgermeister der Stadt Hamburg vorschlagen, dass die Länder die Finanzierung und den Unterhalt der gesamten Verkehrsinfrastruktur, des ÖPNV, Gemeindeverkehrsfinanzierung, Kreisstraßenbau und dergleichen mehr übernehmen, während der Bund den Ländern Zuschüsse für die Eingliederungshilfe im Sozialbereich gewährt.
Viele Programme, die bislang zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur, des ÖPNV, des Kreisstraßenbaus oder der Gemeindeverkehrsfinanzierung bestanden haben laufen Andreas Schwarz zufolge 2019 aus. Das Schäuble-Scholz-Papier würde demzufolge dazu führen, dass sich der Bund hier aus der Finanzierung zurückzieht, was letztlich Konsequenzen für das Investitionsvolumen hinsichtlich der Verkehrsinfrastruktur habe.
Mineralölsteuer und Co. müssen zweckgebunden eingesetzt werden
Der Landtagsabgeordnete Jochen Haussmann (FDP) erklärte, dass die Landesregierung Rücklagen in Höhe von drei Milliarden Euro gebildet habe. Die sollten seiner Meinung nach unterjährig in die Verkehrsinfrastruktur investiert werden. Der demografische Wandel oder auch die Eingliederungshilfe würden natürlich Investitionen in Milliardenhöhe erfordern. Deshalb sprach sich der FDP-Politiker für eine Vignetten-Lösung aus, die schnell gefunden werden müsse.
Stefan Gerwens, Geschäftsführer Pro Mobilität – Initiative für Verkehrsinfrastruktur e.V., betonte, dass es genügend Einnahmen, beispielsweise bei der Kfz-Steuer oder der Mineralölsteuer, gebe. Er kritisierte allerdings, dass diese Mittel endlich zweckgebunden für den Erhalt und Ausbau der Infrastruktur eingesetzt werden müsse. Nach wie vor würden diese Gelder zweckentfremdet eingesetzt und das gelte auch für die Maut, hinter der er noch keinerlei Konzept erkennen könne. „Die Ausländermaut ist meiner Meinung nach nicht zielführend. Vielmehr handelt es sich bei der Maut nur um Stückwerk“, so Gerwens. „Wir brauchen ein integriertes Konzept, das auch die Vernetzung der Verkehrsträger beinhaltet und das gut finanziert ist.“
Der Pro Mobilität-Geschäftsführer erklärte, dass die Bürger durchaus bereit seien für Infrastrukturmaßnahmen und -entwicklungen zu bezahlen, wenn Transparenz geschaffen werde und Finanzmittel tatsächlich in die Verkehrsträger fließen. Worte, für die er von den Tagungsteilnehmern der ISTE-Baustofftage großen Applaus erntete.