Kabel durchtrennt, Rohrleitung aufgerissen: Fehlerhaft ausgeführte Tiefbauarbeiten legen immer öfter die Versorgung lahm. Betroffen sind vor allem Leitungen für Starkstrom, Fernwärme und Datennetze. „Das kann gefährliche Folgen haben, in jedem Fall aber ist es teuer und überflüssig“, betont Jörn P. Makko, Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbands Niedersachsen-Bremen. Die meisten Schäden entstehen infolge fehlender oder fehlerhafter Leitungsauskunft und bei der Bedienung von Baugeräten. Das geht aus dem Bauschadenbericht Tiefbau und Infrastruktur 2020/21 hervor, den das Institut für Bauforschung (IFB) im Auftrag der VHV Versicherungen durchgeführt hat. Die Auswertung basiert auf einer umfassenden Analyse gemeldeter Versicherungsschäden zwischen 2015 und 2019.
Die gesamte Wirtschaft nimmt Schaden
Demnach ist für 2019 ein Anstieg der Schadenfälle von 9,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen, nachdem es in den Jahren zuvor einen Rückgang gegeben hat. 5.669 Schadenfälle in 2019 entsprechen nahezu dem Wert von 2015. Die Kosten für die Schadenbeseitigung steigt kontinuierlich seit 2016. Sie beziffern sich 2019 auf rund 16,5 Millionen Euro. „Dabei ist der gesamtwirtschaftliche Schaden zum Beispiel eines Stromausfalles sehr viel größer als die bloßen Reparaturkosten“, betont Makko. Nach Schätzungen des Verbands sicherer Tiefbau entstehen in Deutschland jährlich Leitungsschäden, die Entschädigungsforderungen durch ihre Betreiber in Höhe von 500 Millionen Euro nach sich ziehen. Die Dunkelziffer nicht gemeldeter Beschädigungen schätzen die Tiefbauexperten auf 1,5 bis zwei Milliarden Euro jährlich geschätzt.
„Zu oft wird blind drauflosgebaggert“
Eine Hauptursache für mangelnde Qualität in Leitungsbau sind Fehler bei der Informationsweitergabe. „Es wird einfach viel zu oft blind drauflosgebaggert“, so Makko. Gestützt wird diese Einschätzung von den Unternehmen: Rund 95 Prozent der vom IFB befragten Firmen geben an, dass durch genauere beziehungsweise vollständige Lagepläne ein Schaden hätte vermieden werden können. Rund 90 Prozent der Befragten halten eine exakte Planauskunft für potenziell schadenvermeidend. Immerhin noch rund 75 Prozent wünschen sich eine bessere Kenntlichmachung der Leitungen und Anlagen. Weitere rund 75 Prozent der befragten Unternehmen erkennen eigene Fehler als schadenursächlich und machen eine mangelhafte Arbeitssorgfalt für den Schadeneintritt verantwortlich.
„Massiver politischer Druck“
Ernst Schaffarzyk, Geschäftsführer des Bauunternehmens Ernst Petershagen GmbH & Co. KG aus Delmenhorst, nennt einen weiteren Grund für die steigenden Leitungsschäden im Tiefbau: „Zurzeit verspüren wir einen massiven politischen Druck hinsichtlich des Breitbandausbaus. Hier gibt es starke Nachholeffekte. Gleichzeitig sind die Unternehmen aber durch andere Aufträge gut ausgelastet. Viele etablierte, seriöse Firmen wollen sich deshalb an diesem Wettbewerb nicht beteiligen. Denn wer tarifgebundene Löhne zahlt, hat im Wettrennen um die Glasfaserverlegung keine Chance.“ Schaffarzyk, der auch als Vorsitzender der Landesfachabteilung Leitungsbau im Bauindustrieverband Niedersachsen-Bremen fungiert, mahnt zudem bei entsprechenden Aufträgen „eine gerechte Verteilung des Risikos zwischen Kommunen, Netzbetreibern und Tiefbauern an. Für Schäden, die aufgrund von mangelhaften Leitungsauskünften entstehen, ist der Auftragnehmer nicht verantwortlich.“ Es müsse gesetzliche Vorschrift sein, dass die Baufirmen einen Anspruch auf entsprechende Auskünfte gegenüber den Netzbetreibern haben. Es sei für die Firmen manchmal sogar schwierig, die zuständigen Netzbetreiber – insbesondere beim Breitbandausbau – herauszufinden.
Verbindliche Regelungen fehlen
„Unsere Analysen zeigen deutlich: Der Mensch ist immer Dreh- und Angelpunkt“, schlussfolgert IFB-Leiterin Heike Böhmer. Zur Schadenvermeidung sei die Verbesserung der Kommunikation zwischen den Baubeteiligten unumgänglich. Zudem müsse die Qualifizierung von Fachkräften intensiviert werden. „Wir haben ja Leitungsauskunftsportale, aber wir müssen diese auch nutzen und anwenden.“ Ein weiteres Problem lasse sich aber auch durch noch so viel Sorgfalt auf Seiten der Auftragnehmer nicht entschärfen: „In Deutschland fehlen je nach Versorgungssparte teils einheitliche Bestimmungen über die Qualität der Leitungsdaten und die Genauigkeit von Positionsangaben.“ Und das vor dem Hintergrund, dass bundesweit mehr als 10.000 Netzbetreiber aktiv sind, deren Zahl weiterhin wächst. „Verbindliche Regelungen könnten hier wesentlich dazu beitragen, das Risiko von Leitungsbeschädigungen, Unfällen und Versorgungsausfällen zu minimieren“, unterstreicht Böhmer.
Weiterbildung für Regeln in Leitungsnähe
Eine weitere effektive Maßnahme zur Reduzierung von Bauschäden sieht die IFB-Leiterin in der Weiterbildung der Fachkräfte. Es gebe eine Vielzahl von Weiterbildungsangeboten in diesem Bereich, die stärker genutzt werden könnten. „So richtet sich die Qualifizierungsmaßnahme, Sicherheit bei Bauarbeiten im Bereich von Versorgungsleitungen’ zum Beispiel nicht nur an Ausführende und Aufsichtführende, sondern ist auch für Planer geeignet. Zusätzlich zum theoretischen Teil kann die Qualifizierung durch praktische Schulungen und Sicherheitstrainings ergänzt werden, bei denen die Teilnehmer elementare Regeln für Tiefbauarbeiten in Leitungsnähe erlernen.“
Konkrete Maßnahmen gegen Bauschäden
Auf Basis der Bereiche Weiterbildung, Auskunftspflicht und Kommunikation lassen sich aus dem Bauschadenbericht konkrete Maßnahmen ableiten, die entscheidend zu einem Rückgang der Bauschäden beitragen können. Das beginnt bei der sachkundigen Vorbereitung der Tiefbauarbeiten, reicht über den Einsatz von Verfahren zur Leitungsortung und die Verbesserung bei der Informationsweitergabe von Leitungsplänen bis zur Verwendung genormter Warneinrichtungen zur besseren Kennzeichnung erdverlegter Kabel und Leitungen. Und nicht zuletzt sind die gewissenhafte Ausführung der Tiefbauarbeiten durch qualifizierte Fachkräfte und systematische Qualitätskontrollen durch unabhängige Prüfer maßgeblich.